Durst 04/2021

32 Markt & Trends I ch wollte herausfinden, ob meine Follower noch normal ticken. Also habe ich das Bild meiner hausgemachten Lasagne auf Face- book gepostet. Versehen mit einer plakativen, höchst überspitzten, aber unmissverständlichen Botschaft: Ich lasse mir mein liebevoll und selbst zubereitetes Essen aus besten Zutaten nicht miesreden! Und siehe da: Ich durfte fest- stellen, dass meine Bubble jede Menge Humor besitzt und meine traditionelle Lasagne allen pseudogesunden Ersatzprodukten vorzieht. Ich bin nämlich zunehmend irritiert. Inmeinem News-Feed sehe ich vermehrt junge Menschen, die sich obsessiv mit gesundem und vermeint- lich ökologischem Essen beschäftigen. Sie er- setzen undifferenziert alles, was im Verdacht steht, schlecht oder ungesund zu sein: Fleisch, Weizen, Milchprodukte, Eier, und so weiter, ohne die Qualität der einzelnen Zutaten zu hin- terfragen. Ist es saisonal? Regional? Hand- werklich hergestellt? Biologisch? Artgerecht? Nachhaltig? Dafür futtern sie jede Menge Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel und konsumieren höchst dubiose Produkte, die industriell statt selbst zubereitet wurden, und von was weiss ich woher eingeflogen kommen. Da postet doch diese junge Mutter und Ernäh- rungsberaterin (!) ein veganes Rührei, das sie für ihre dreijährige Tochter zubereitet hat. Ich denke, huch, das arme Kind. Was zum Geier ist ein veganes Rührei? Das ist gelb gefärbter, gewürzter und gequirlter Tofu. Damit das gefakte Rührei irgendwie nach Ei schmeckt, verwendet sie ein spezielles, ge- schwefeltes Salz. Salz also, das nach faulen Eiern riecht. Sie lügt ihr Kind an und frohlockt auch noch. Und das soll gesünder sein als ein Bio-Ei von artgerecht gehaltenen Hennen vom regionalen Bauer? Darüber hinaus lässt sie die ganze Familie auf Vitaminmangel testen und promotet via bezahlten Link Vitaminpräparate. Kocht wieder wie eure Grossmutter! Eine andere Ernährungsberaterin (!) ist mega happy, dass sie sich jetzt endlich gesund er- nähren kann. Denn sie hat jetzt die Gewissheit, welche Lebensmittel ihrem Körper schaden: Gluten! Laktose! Kohlenhydrate! Woher sie das weiss? Ganz einfach, sie hat es testen lassen. Aber nicht etwa bei ihrem Hausarzt oder so. Nein, mit einemSet dieser super Firma aus den USA. Man muss sich nur in den Finger piksen und die Blutprobe nach Amerika schicken. Nach ein paar Wochen bekommt man die Werte, die vermutlich höchst individuell und wissenschaft­ lich fundiert ermittelt wurden… Sie motiviert ihre Follower, das unbedingt auch zu machen, natürlich über einen Link mit Rabattcode. Und diese bedanken sich auch noch euphorisch für den tollen Tipp in den Kommentaren. Da kann ich noch lange erzählen, kocht wieder wie eure Grossmutter. Das ist gesund und ret- tet den Planeten! Die kannte nämlich kein Food Waste, ass wenig Fleisch und verwendete nur saisonale und regionale Zutaten. Die Welt, sie wäre schlagartig eine bessere und gesündere, wenn das alle beherzigen würden. Aber wer von den Jungen will schon so kochen wie eine Grossmutter? Wer is(s)t eigentlich noch normal? Essen ist so vieles: Heimat, Tradition, Politik, Wirtschaft, Religion und immer mehr auch Hochleistungssport. Es ist verstörend, wie sehr gerade junge Menschen von ihrem Essen erwarten, dass es gesund oder gesundheitsfördernd ist. Sie teilen Zutaten radikal in Gut und Böse und verlieren zunehmend den gesunden Menschenverstand. Kolumne Claudio Del Principe schreibt über neue Essgewohnheiten Finger weg von meiner hausgemachten Lasagne! Gluten! Kein planted Meat! Zu viele Carbs! Viel zu viel Laktose!!! Nicht mal Cashewkäse, ts! Nirgends Soja! CLAUDIO DEL PRINCIPE Pasta nicht vegan!

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