Durst 06/2021

28 Markt & Trends Loslassen und geniessen Wie lange haben wir darauf gewartet? Mussten ausharren und stillsitzen. Wie unbeschreiblich gross ist unsere Sehnsucht nach Unbeschwertheit? So, wie man sie besonders gerne in Italien zelebriert. Einen warmen Flaniertag stilvoll ausklingen lassen – und den milden Abend mit einem ausgedehnten Aperitivo feiern. D ieser Moment, wenn die Stadt loslässt. Der Rummel des Tages verebbt. Das gleissende Licht in glühendes Rot übergeht. Die Piazza von den Marktständen befreit ist und der Blick auf diese prachtvollen Fassaden fällt. Diese historische, opernhafte Kulisse, an der du dich nicht satt sehen kannst. Wenn die Bars für den aperitivo lungo aufrüs- ten und die Tresen vor köstlichen Snacks und stuzzichini überquellen. Die Tische einladend im Freien gruppiert stehen. Wie kleine Hafen entlang den Gehwegen, einer hübscher als der andere, man kann sich gar nicht entscheiden, welchen man ansteuern soll. Wenn man die Leute sieht, wie sie sich herausgeputzt und aufgebrezelt haben, und man sich fragt, nanu, gibt es etwas zu feiern? Ja, klar. Es gibt immer was zu feiern. Aber nicht aus einem bestimm- ten Anlass. La vita è bella, das ist der Grund. Man feiert den Sommer, das Leben, die Freun- de, den Moment. Ist das nicht Motiv genug? Der sanfte Übergang in die Nacht Dolce vita heisst nicht nur das süsse Leben. Dolce heisst auch sanft. Jetzt geht es darum, den Übergang vom Tag zur Nacht sanft zu ge- niessen. Die Zeit, bevor es zum Abendessen geht, anregend und feierlich zu verbringen. Die Kultur des stilvollen aperitivo, der von den vielen verschiedenen italienischen Wermut-Brands seit Jahren kultiviert und bebildert wird, ist in ein kollektives Verhalten übergegangen. Schon mal bemerkt? In Italien gibt es weniger Saufgelage als anderswo. Man sieht selten Gruppen, die sich zudröhnen. Weil man ja an- schliessend noch schön essen gehen und – ganz wichtig – eine bella figura machen will. Es ist okay, wenn man ein wenig angeschickert und locker drauf ist, aber betrunken will niemand sein. Dafür ist den Italienern das, was sie lieben, zu wichtig: gutes Essen, guter Wein, eine ent- spannte Stimmung, anregende Gespräche. Dann kommt man vom Essen, setzt sich noch- mal auf die Piazza für einen Averna und sieht da diese Bühne. Einer kommt und rezitiert Gedichte, gibt das Mikrofon weiter an eine Cantautrice, die uns mit Liedern betört. Und ich denke mir, das alles ist frei, für alle. Keiner muss etwas bezahlen. Kein Land kann einen mit seiner Kultur so umarmen wie Italien. Alle Gemeinden leisten sich diese Program- me. Gibts in jedem Dorf, jeder Stadt. Auch das gehört zum italienischen Sommer. Gemein- sam geniessen. Ich liebe es. Ich liebe es sehr. B esorgen Sie sich als erstes gute Pata­ tine, dicke, wenn möglich in kleinen Chargen frittierte Pommes Chips. Mit schlichtem Meersalz. Nicht diese aufdringlich gewürzten. Gute, möglichst handgemachte Grissini. Dicke, grüne Oliven (mit Kern!). Die besten heissen Belle di Cerignola. Schwarze Leccino oder Taggiasca Oliven, die Sie bitte wie folgt marinieren: Mit gehackter Petersilie, Peperoncino, Knoblauch, Orangenschale und Olivenöl (Vorsicht Suchtgefahr). Wenn wir schon bei Oliven sind, bereiten Sie eine schlichte Tapenade zu. Einfach schwar- ze (diesmal entkernte) Oliven im Mixer pürie- ren und mit etwas geriebenem Parmesan oder Pecorino, Pfeffer und Olivenöl würzen. Streichen Sie die Tapenade auf geröstete Crostini oder stellen Sie Gemüsesticks bereit, mit denen Sie die Tapenade aufnehmen. Eine zweite Sorte Crostini bitte mit Pesto Geno- vese al basilico (am besten frisch zubereitet) bestreichen. Anleitung für den perfekten Aperitivo Wenn Sie die Sehnsucht nach einem stilvollen Aperitivo all’italiana packt, können Sie sich mit diesen typischen Snacks und Speisen direkt in die Dolce Vita katapultieren. Kolumne Claudio Del Principes Liebeserklärung an den Aperitivo in Italien

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