Durst 06/2022

10 Hauptgang Wertschätzung als Gebot der Stunde Es ist eine Binsenwahrheit: Wertgeschätzte Mitarbeiter sind motiviertere, bessere und treuere Mitarbeiter. Ebenfalls bekannt ist der Personalmangel in der Branche. Wertschätzung ist also wichtiger denn je. Sie hat auch mit einem fairen Lohn zu tun, enthält aber viele andere Aspekte, die keinen Rappen kosten. Ein freundliches Lächeln etwa und etwas ganz Wichtiges: Respekt! Personalmangel und Frustration nach Lockdowns Ich habe mir vorgenommen, den Angestellten heute etwas Wertschätzung entgegenzubringen. Was kann ich tun? Christoph Clases: So, wie Sie sich das vorstellen, funktioniert es nicht. Mit der Wertschätzung verhält es sich ähnlich wie mit dem Vertrauen: Es braucht lange, um sie aufzubauen und wenig, um sie zu zerstören. Wenn ich einfach mal ein Lob ausspreche, damit ich wieder einmal Wertschätzung sei eine Möglichkeit, den Angestellten Anerkennung zu zeigen, sagt der Arbeits- und Organisationspsychologe Christoph Clases (vgl. Interview unten): Und «Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Jeder Mensch braucht Anerkennung». Wertschätzung und damit auch Anerkennung erhalten die Angestellten in der Gastronomie von den Gästen. Sie drückt sich in Form eines Lobs oder eines grosszügigen Trinkgelds aus. Während der Lockdowns fiel diese Wertschätzung weg. Plötzlich sass man alleine zu Hause – ohne Aufgabe, ohne Lob, ohne Anerkennung. Auch das Verhalten der Politik und der Gesellschaft war für die in der Gastronomie und der Hotellerie Beschäftigten nicht dazu angetan, sich wertgeschätzt zu fühlen. Während das Volk für das Pflegepersonal applaudierte und ihm höhere Löhne in Aussicht gestellt wurden, kümmerte sich kaum jemand um das Gastronomie-Personal. So sandte man das Zeichen aus: Ihr seid nicht systemrelevant, nicht wichtig; schaut selbst, wie ihr über die Runden kommt. Wertschätzung sieht anders aus. Viele haben für sich geschaut und die Branche verlassen. Deshalb hat sich der Personalmangel in der Branche zugespitzt. Und deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, den Angestellten Wertschätzung entgegenzubringen. Ja, der Lohn ist eine Form der Wertschätzung. Wer faire Löhne zahlt, hat in der Regel motiviertere Angestellte. Viele Betriebe können es sich aber nicht leisten, die Löhne zu erhöhen. Sie müssen schauen, finanziell über die Christoph Clases, Arbeits- und Organisationspsychologe «Anerkennung ist menschliches Grundbedürfnis» Für Christoph Clases ist Wertschätzung eine Beziehungsqualität, die viel mit Vertrauen, Respekt und Kultur zu tun hat. Im Gespräch mit DURST sagt der Arbeits- und Organisationspsychologe, wie man den Mitarbeitenden Wertschätzung zeigen kann und dass die verschiedenen Aspekte der Wertschätzung im Arbeitsalltag überall aufblitzen sollten. gelobt habe, durchschauen das die Mitarbeiter. Ein nicht ernst gemeintes Lob kann kontraproduktiv sein. Wertschätzung ist kein Instrument, das ich bei Bedarf einsetzen kann. Was ist sie dann? Lassen Sie mich etwas ausholen: In der Philosophie ist Anerkennung ein wichtiger Begriff. Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis, und Wertschätzung wie Respekt und – in der intensivsten Form – Liebe, eine Möglichkeit, Anerkennung zu zeigen. Wir kämpfen alle um Anerkennung, ja wir sind süchtig danach. Anerkennung schützt uns vor Angriffen und steigert unser Selbstwertgefühl. Den Angestellten kann man Anerkennung auf ganz verschiedene Weisen entgegenbringen. ZumBeispiel mit einem höheren Lohn? Es braucht eine Kultur der Wertschätzung. Zu dieser Kultur gehört auch, dass ich gegenüber den Mitarbeitenden bezüglich Lohn wertschätzend bin. Gerade in der Gastronomie kann man aber nicht allen Lohnverstellungen entsprechen. Umso wichtiger ist es, die Kultur der Wertschätzung zu leben, was anspruchsvoll und eine permanente Aufgabe ist. Ernst gemeintes Lob ist wertschätzend, aber auch respektvoll vorgetragene Kritik kann ein Aspekt der Wertschätzung sein. Mit ihr zeige ich den Mitarbeitenden, dass sie mir wichtig sind, dass sie Potenzial Der gelernte Arbeits- und Organisationspsychologe ist seit 2009 Partner der AOC. Nach einer handwerklichen Ausbildung studierte Christoph Clases Psychologie, Philosophie und Linguistik an der Uni Hamburg und wurde an der Freien Universität Berlin promoviert. Er war als Institutsleiter amAufbau der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNWbeteiligt, wo er bis heute in der Lehre tätig ist. Seit 2001 berät Christoph Clases Unternehmen. In Coachings, der Arbeit mit Managementteams sowie Changeprozessen unterstützt er persönliche und unternehmerische Entwicklungen. www.aoc-consulting.com CHR I S T OPH C L A S E S

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