Durst 05/2023

32 Markt & Trends Nein, bereut habe ich es nie. Obwohl, es war kein Kinderspiel, deiner habhaft zu werden, damals, noch ohne Hilfe des grossen, weiten und vor allem anonymen Netzes. Ich wurde in einer einschlägigen Publikation auf dich aufmerksam, und nur durch meine Beziehungen zu einem mit der Szene bestens vertrauten Mittelsmann kamen wir zusammen, auf verschlungenen Pfaden fandest du schliesslich den Weg zu mir. Ein grosses Glück für mich, für uns, dein Zimmerchen war vorbereitet, klaglos hast du dein neues Heim tief unter der Erde bezogen, dich nie in all den folgenden Jahren darüber beschwert, fernab von Tageslicht und wärmenden Sonnenstrahlen, ja, sogar die Jahreszeiten habe ich dir vorenthalten. Was blieb mir anderes übrig, als dich wegzusperren? Der tiefe Keller, den ich – fernab von Gesetz und Obrigkeiten – im Geheimen ausgebaut hatte, schien mir der richtige Ort, um dich Jahren, lag mir doch nichts mehr am Herzen als dein Wohlbefinden. Zärtlich nahm ich dich in die Arme, streichelte über deine ebenmässigen Schultern. Ich reinigte dein Kleidchen von Zeit zu Zeit, manchmal schien der Kampf gegen den Staub beinahe aussichtslos. Nur mit grösster Anstrengung widerstand ich der Begierde, dir noch im Keller deine Jungfräulichkeit zu rauben, deinen Duft in mich einzusaugen und mich an deinem mittlerweile reifen Körper zu verlustieren. Einige Male nahm ich dich gar mit hinauf, vorsichtig, darauf bedacht, dich nicht zu stark dem Tageslicht auszusetzen; zu viel davon hätte dir geschadet. Der Versuchung, dich auf Fotos unsterblich zu machen, konnte ich nicht widerstehen; ein Kleingeist, der hier Obszönes denkt! Just in einem dieser raren, glücklichen Momente überraschte mich mein bester Freund, unmöglich war es von nun an, ihm mein grösstes Geheimnis länger vorzuenthalten. Natürlich gab er keine Ruhe, seine ähnlich gelagerten Interessen waren mir wohlbekannt. Genauso wie sein Credo, das er mantrahaft wiederholte: Eine stattliche Erscheinung wie du, mit reifem, üppigem Körper, sei doch wie geschaffen, um zwei Gentlemen einen Nachmittag lang unvergessliche Glücksmomente zu bescheren. Nur, für mich war immer klar, du gehörst mir ganz alleine. Deine berauschende Einmaligkeit teile ich mit niemandem, einen ganz besonderen Tag werde ich für uns aussuchen und eine magische Stimmung dazu kreieren, denn nichts anderes hast du verdient, du, meine geliebte Magnum Château Lafite Rothschild 1982. www.richardkaegi.ch www.homemade.ch @richifoodscout so nahe wie möglich bei mir zu wissen, dich jederzeit bewundern zu können, Zeit mit dir zu geniessen und das Wissen um deine Existenz mit keinem anderen teilen zu müssen. Schon so lange bist du mein süsses, kleines (deine stattliche Grösse verbietet eigentlich jedwelchen Diminutiv) Geheimnis. Meine österreichischen Landsleute mütterlicherseits reklamieren das «Die-Liebste-in-den-Keller-Sperren» für sich, aber wir Schweizer haben es erfunden. Du gehörst mir ganz allein Genauer, mein Vater. Mit meiner dickköpfigen Weigerung, einen grossen Teller zu Brei gekochten Spinat aufzuessen, landete ich damals, als Sechsjähriger, in unserem finsteren, feuchten Keller. Dort unten blieb ich weggesperrt, für eine Nacht und einen Tag, ohne Licht und Wärme, dafür mit dem Spinat. Ich ass ihn nicht. Doch das ist eine andere Geschichte. Immer wieder stieg ich zu dir hinunter, in all den Kägis Kolumne Keller-Geheimnisse Foodscout Richi Kägi erinnert sich an seine Kindheit. An die Tage, die er im Keller verbringen musste, weil er den Spinat nicht ass. Daran, dass er im Keller eine Bekanntschaft gemacht hat. Diese passt wunderbar zu seiner himmlischen Pfeffersauce mit teuflisch viel schwarzem Pfeffer.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx