Durst 03/2021

Hauptgang 13 Hat auch die Digitalisierung einen zusätzlichen Schub erhalten? Ja, die Art der Bestellung und vieles mehr haben sich verändert, ins Internet und auf Apps verlagert. Zudem haben die neuen Medien für die Gastronomie enorm an Macht gewonnen. Wer jetzt in diesem Be­ reich Geld in die Hand nimmt, kann langfristig Geld sparen. Ich empfehle aber, sich gut zu überlegen, was man im digitalen Bereich wirk­ lich braucht. In der Gastronomie steht jetzt nämlich mehr denn je die persönliche Begeg­ nung zwischen Menschen im Zentrum. Diese kann im Service durch keine noch so gute digi­ tale Lösung ersetzt werden. Sie gehen also davon aus, dass die Menschen nach dem durch Corona erzwungenen Rück- zug ins Häusliche gerne wieder in Lokalen gesellige Stunden verbringen wollen? Nach dem Lockdown werden alle merken, wie wichtig dieser öffentliche Raum ist. In der Gas­ tronomie finden mikrosoziale Begegnungen statt, man läuft sich über den Weg und inter­ agiert, man sieht und wird gesehen. All dies ist für uns Menschen essenziell, denn es prägt unsere Lebensqualität. Ich bin überzeugt, dass die Menschen das Restaurant nach der Zeit der grossen Einsamkeit ganz besonders schätzen werden. Auch deshalb ist jetzt die Zeit der Ge­ staltung und nicht der Schockstarre. kommenssegmenten wächst das Bedürfnis nach Food Delivery, und dadurch entstehen neue Dienstleistungschancen wie die Lieferung von Gourmetmenüs inklusive Geschirr und Be­ steck. Man kann heute viel mehr anbieten als fixfertige Gerichte, Gemüse-Kits vom Biobau­ ern zumBeispiel. Bei solchenDienstleistungen kann der Detailhandel nicht mithalten, sie set­ zen aber voraus, dass man regional Netzwerke aufbaut und hochgradig saisonal arbeitet. Regionalität und Saisonalität haben also ganz klar an Bedeutung gewonnen… ...und wie erwähnt auch Authentizität. Ich stelle fest, dass sich die Küche imdeutschsprachigen Raum in vielen Lokalen weit hinten befindet und versteckt ist. So kann man dem Gast die Magie des Kochens und der Produkte nicht vermit­ teln. Im Idealfall befindet sich die Küche mitten im Lokal und erlaubt es dem Gast, spielerisch zu lernen und die Frische sowie das Know-how der Ausgangsprodukte zu erleben. In einer sol­ chen Küche kann man dann vielleicht sogar Kochkurse anbieten. Das Interesse, selbst gut kochen zu können, hat wegen der Pandemie und dem mit ihr verbundenen Rückzug ins Häusliche nämlich stark zugenommen. nun selbst. Es wird deutlichmehr zu Hau­ se gekocht und mehr Zeit am Esstisch verbracht. Verschoben haben sich auch die Haushaltsbudgets. Heute geben wir Geld für die Lebensqualität zu Hause aus. All diese Veränderungen dürften an der Gastronomie nicht spurlos vorbeigehen? Die Gastronomie hat sich in den letzten Mona­ ten immer wieder im Ausnahmezustand be­ funden. Sehr viele Betriebe haben sehr schnell reagiert, einen Take-away organisiert und mit Lieferdiensten kooperiert. Das halte ich für eine ganz schlaue Strategie, denn so hält man den Kontakt mit Gästen und baut ihn sogar aus. Es ist auch eine gute Chance, regional bekannter zu werden und die Bedürfnisse der Gäste bes­ ser kennenzulernen. Wenn die Leute zu Hause bewusster mit Nahrungsmitteln umgehen und Essen neu zelebrieren, wird das natürlich für einen längeren ZeitraumAuswirkungen auf die Gastronomie haben. Wenn man zu Hause ent­ spannter essen kann als im Lokal, dann hat die Branche ein Problem. Was empfehlen Sie Gastronomen konkret? Die Lage hat an Bedeutung verloren, während das Erlebnis wichtiger geworden ist. Wenn die Gastronomie alles bieten will, läuft sie Gefahr, nichts richtig zu machen. Deshalb braucht es in diesem gesättigten Markt mehr Mut, sich zu positionieren. Wer bin ich? Wer will ich sein? Welche Art von Küche passt zumir?Wie wichtig sind fürmeinen Betrieb kommunikative Aspek­ te, die persönlichen Kontakte zu den Gästen, aber auch Nachhaltigkeit und Regionalität? Es gilt, die Herzziele zu definieren und eine Strate­ gie zu entwickeln, wie man diese konsequenter umsetzen und besser sichtbar machen kann. Das bedingt ein klares Qualitätsmanagement. Werden Take-away und Lieferangebote nach der Pandemie wichtige Umsatzfelder bleiben? Für viele Gastronomiebetriebe werden sie zu neuen Standbeinen. Gerade in höheren Ein­ Die Foodtrendexpertin hat den grossen Blick auf den Wandel unserer Ess- und Trink­ kultur. Seit 25 Jahren inspiriert Hanni Rützler die Akteure in allen Food-Branchen. Als Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin bewegt sich die Österrei­ cherin zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, was sie auch als Referentin des Zukunftsinstituts und als Autorin des jährlich erscheinenden Foodreports auszeichnet. Legendär ist ihre Verkostung des ersten In-Vitro-Burgers 2013 in London. www.zukunftsinstitut.de H A NN I RÜ T Z L ER «Es wird mehr zu Hause gekocht und mehr Zeit am Esstisch verbracht.» «Die Lage hat an Bedeutung verloren, das Erlebnis ist wichtiger geworden.»

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